Schicksal: – Das Rohmaterial der Astrologie
Wenn Sie die Bedeutung von technischer Fertigkeit und Intuition auseinander halten und die Grenze zwischen ihnen erkennen, haben Sie den ersten Schritt in Richtung Prognose getan. Hier stehen Sie nun mit dem Adler unter dem einen Arm und der Lerche unter dem anderen Arm, und plötzlich schauen Sie dem Schicksal direkt ins Auge!
Sind wir fähig aus den dynamischen Mustern eines Geburtshoroskops den Zeitpunkt und die Beschreibung zukünftiger Ereignisse abzulesen, dann müssen wir nicht nur anerkennen, dass irgendein „Gesamtkonzept“ dahinter steht, in das der Mensch eingebunden ist, sondern wir müssen uns auch klar darüber sein, dass dies genau das Rohmaterial ist, mit dem wir uns befassen. Als Astrologen arbeiten wir mit dem Schicksal, so wie ein Schuster mit Leder arbeitet oder ein Schmied mit Eisen.
Wir müssen daher, wie bei jedem Beruf oder Gewerbe, das Rohmaterial unseres Handwerks kennen, wenn wir Ergebnisse erzielen wollen. Ein Hufschmied wird nicht erwarten, dass beim Anfertigen eines Hufeisens ein Kilo Butter entsteht – aus dem ganz einfachen Grund, weil das nicht im Vermögen seines Rohmaterials liegt.
Was sind nun die Grenzen unseres Grundmaterials? Was kann es? Was kann es nicht? Wie sehr ist das menschliche Leben vom Schicksal bestimmt? Genauso wie der Schmied die begrenzten Möglichkeiten des Eisens, muss der Astrologe die Begrenzungen des Schicksals kennen. Die Fragen „wie sehr“ und „wie oft“ sind nicht leicht zu beantworten, aber für den Astrologen sind sie im Zusammenhang mit der Prognose unumgänglich.
Astrologen können nur mit der Seite eines Menschen arbeiten, die dem Schicksal unterstellt ist. Daher ist die Genauigkeit jeder Vorhersage darauf beschränkt, wie viel Schicksalsanteil ein Mensch hat.
Wie sehr ist also das Leben eines Menschen vom Schicksal bestimmt? Würde die Antwort lauten: „Voll und ganz“, dann wäre astrologische Vorhersage die einfachste Sache der Welt, weil nichts dem Zufall überlassen bliebe. Die Astrologie wäre imstande, mit lückenloser Genauigkeit jedes Ereignis im Leben eines Menschen vorher zu sagen. Sie würde dann zu einer Wissenschaft jener Welt werden, in der man alles messen, abwägen, abschmecken und überprüfen kann, und das menschliche Wesen würde dem eines gut konstruierten Roboters gleichen. Die Nachrichten in Radio und Fernsehen wären eher eine Ansage von Ereignissen, die geschehen werden, als ein Bericht von Dingen, die passiert sind.
Würde andererseits die Antwort lauten: „Überhaupt nicht“, dann hätten sich die Astrologen der vergangenen 5000 Jahre auf dem Holzweg befunden. Auch das könnte ich schwerlich glauben, und somit bleibt als einzige Antwort nur die, dass ein Teil des menschlichen Lebens von diesem "Gesamtkonzept“ oder eben „Schicksal“ beeinflusst ist.
Als wäre diese eine Frage nicht schon schwierig genug, kommt noch eine andere hinzu: Wirkt sich das Schicksal eines Menschen im Laufe des Lebens immer gleichmäßig aus, von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter, von Situation zu Situation, oder ist die Wirkung unterschiedlich?
Wir sind im Begriff, uns in sehr tiefe Gewässer zu begeben. Vielleicht schlagen so manche Studenten bei diesen Fragen die Hände über dem Kopf zusammen und geben auf. Aber jeder ernsthafte Astrologe muss sich mit der Definition des Rohmaterials in seiner Zunft auseinandersetzen und muss brauchbare Antworten bereit halten, bevor er sich der Aufgabe der astrologischen Prognose zuwenden kann.
Eine Annäherung an diese schwer zu beantwortenden Fragen bildet daher die Überzeugung, dass zwei hauptsächliche Kräfte am Werk sind: die eine Kraft ist das Schicksal – das Grundmaterial des Astrologen; die andere Kraft heißt Leben oder freier Wille – das Element, das nicht in einem Horoskop enthalten ist. Als Astrologen glauben wir an die Hypothese, dass Schicksal die Forderung des Lebens nach Ganzheit ist. Oder, um es einfacher auszudrücken, unsere Aufgabe als menschliches Wesen besteht darin, nach Ganzheit zu streben.
Dieses schicksalhafte Ringen des Lebens um Ganzheit, das es über ein Menschenleben erfährt, wird durch den Lebensweg, die Geschichten und Probleme dargestellt, die in einem Geburtshoroskop enthalten sind. Durch die Hindernisse, die es auf unseren Lebensweg streut, will das Schicksal uns etwas lehren – man könnte es vergleichen mit den Lektionen eines Lehrplans. Hier können wir eine Wahl treffen: entweder entscheiden wir uns dafür, schnell und akkurat zu lernen, was im Rahmen der Lektion angesagt ist, oder wir entscheiden uns dafür, am laufenden Band zu versagen. Das ist die Wahl, die wir haben, und das Schicksal könnte sehr wohl als erstes gesagt haben: „Wem nicht zu raten ist, ist nicht zu helfen …!“
Haben wir die Prüfung bestanden, können wir sozusagen in eine höhere Klasse aufsteigen, wo das Schicksal mit der nächsten Reihe von Lektionen fortfährt. Dabei wird der Lernstoff nicht weniger.
In diesem Modell, und es ist nur ein Modell, bietet das Schicksal dem Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Lektion oder Option in Gestalt mehrerer Varianten, wie etwa bei der Mehrfachauswahl auf einer Liste. Das menschliche Individuum, auf seiner Suche nach Ganzheit vom Schicksal angetrieben, wählt eine oder mehrere Möglichkeiten aus der Liste aus, entweder bewusst oder unbewusst. Wir möchten gern glauben, dass die Auswahl einer Option auf dem Verlangen des Individuums nach bestmöglichem persönlichen Wachstum beruht, aber der Mensch hat bei solchen Entscheidungen einen freien Willen. Die Fähigkeit, eine Möglichkeit auszuwählen, unterliegt daher dem freien Willen eines Individuums; dem Schicksal sind der Zeitpunkt und die Art der Auswahlliste überlassen.
Somit kann die Astrologie den Zeitpunkt und die Art der kommenden Ereignisse vorhersagen. Es ist aber der menschliche Anteil – der Anteil, der im Horoskop nicht aufscheint –, der den genauen Ausdruck des Ereignisses wählt.
Dieses Modell einer Vermählung zwischen Schicksal und freiem Willen mag simpel erscheinen, aber damit bekommt die prognostische Astrologie Konturen und kann sich zugleich abgrenzen. Da die Astrologie mit dem Schicksal arbeitet, können wir davon ausgehen, dass wir fähig sind, die Zeit und das Wesen der Möglichkeiten vorherzusagen, die das Schicksal dem Menschen anbieten wird. Gleichzeitig sind wir uns klar darüber, dass die Optionen auf der Liste variieren werden, je nach dem, wie gut das Individuum seine bisherigen „Lektionen“ gelernt hat.
Das Definieren und Vorhersagen der genauen Option ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Diese Art der Vorhersage, nämlich das richtige Ereignis herauszugreifen, würde in das Gebiet der Lerche, der Intuition fallen, weil die tatsächliche Entscheidung des Menschen nach unserem Modell von Schicksal und freiem Willen zum Feld des freien Willens gehört.
Dieses Modell ist keineswegs perfekt. Tatsächlich wird kein Modell und werden keine Antworten auf die erhobenen Fragen völlig befriedigend sein. Aber das Dilemma der prognostischen Astrologie ist, dass sie ein Modell braucht. Ein Modell, sei es das obige oder irgendein Modell, hat den Vorteil, dass Sie wissen, was Sie vorhersagen können und was nicht, wann Sie ihre Intuition einsetzen sollen, und wann ihre astrologische Logik genügt.
Zum Beispiel könnten Sie den Uranus-Transit eines Klienten anschauen, der eine Konjunktion zu seiner Geburtssonne bildet. Sie stellen den Zeitrahmen des Transits fest und erklären dem Klienten die Art der Ereignisse, die während dieser Zeit stattfinden können. Dann schalten Sie um und begeben sich auf die Ebene ihrer Intuition; Sie ziehen alles, was Sie über den Klienten und über das Leben im Allgemeinen wissen, in Betracht und sprechen die Option an, die am wahrscheinlichsten ist.
Wenn Sie herausfinden, dass Sie sich geirrt haben, ist es ein Leichtes, herauszufinden, ob ihrer astrologischen Logik ein Fehler unterlaufen ist. Der Fall eines flügellahmen Adlers! Oder war es ihre Intuition? Muss die Lerche ein bisschen aufpoliert werden?
Der wahre Wert einer solchen Methode liegt darin, dass man die Rückmeldung auf eine Vorhersage konstruktiv verwerten kann.
Die astrologische Prognose besteht aus einer Reihe von Entscheidungen, die letztendlich zu einer Schlussfolgerung führen. Falls die Schlussfolgerung nicht stimmt, ist es für die Korrektur eine äußerst wertvolle Hilfe, zu wissen, welche Entscheidungen man im Verlauf des Weges getroffen hat. Aber bevor Sie mit Prognose beginnen, müssen Sie sich als Astrologe für ein Modell entscheiden, das ihr Verständnis vom Schicksal definiert.
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