Christoph Schubert-Weller (1950) Studium der Philosophie, Linguistik und Literatur, Zweitstudium in Pädagogik, Psychologie und Soziologie. 1993 Promotion. Ausbildung in Astrologie seit 1976, geprüfter Astrologe (DAV). Lange Jahre geschäftsführendes Mitglied der Prüfungskommission beim Deutschen Astrologenverband (DAV) und von 2005 bis 2011 leitete er den Verband als 1. Vorsitzender. Aufsätze, Monographien Vorträge und Radiosendungen.
Astrologie in der theologischen und kirchlichen Kritik
Etwa bis zur Mitte der 80er Jahre war die kritische Haltung von theologischer und kirchlicher Seite gegenüber der Astrologie ziemlich eindeutig. Die Astrologie wurde als Wahrsagerei abgelehnt. Sie sei, so die Kritik, mit der Freiheit des Christen unvereinbar, da sie Fatalismus und Abhängigkeit fördere. Sie vertrete ein Weltbild, das unvereinbar sei mit dem christlichen Weltbild. Und nicht zuletzt sei die prophetische Kritik im Alten Testament an den Astrologen und Sehern so klar und eindeutig, dass sich für jeden Christen der Umgang mit der Astrologie von vornherein verbiete. Einige kirchliche Kritiker gingen und gehen noch weiter, indem sie Astrologie von vornherein als Teilgebiet des Okkultismus ausweisen und jeden, der sich mit Okkultismus im allgemeinen und Astrologie im besonderen befaßt, als »okkult behaftet« oder »okkult belastet« bezeichnen. Ein solcher Mensch brauche unbedingt seelsorgerliche Hilfe und müsse von seinem Tun ablassen.
Zwei Ausnahmen sind hier dennoch zu nennen. 1979 erschien in der »Theologischen Realenzyklopädie« ein ausführlicher, abgewogener Sachartikel »Astrologie«, der nicht in die ablehnende Kritik einstimmte, sondern in der Sache korrekt und im Argument geduldig das Für und Wider der modernen Astrologie erörtertet.
1980 veröffentlichte der katholische Benediktinerpater Gerhard Voss seine Arbeit »Astrologie christlich«, die vor allem einen meditativen und spirituellen Zugang zum Horoskop für möglich hielt und erörterte. Soweit ich sehe, sind diese beiden Ausnahmen innerhalb der kirchlichen Publizistik ohne wahrnehmbare Resonanz geblieben - jedenfalls bis in die Mitte der 80er Jahre. Das Thema »Okkultismus«, insbesondere der sogenannten »Jugendokkultismus«, ist seit den frühen 80er Jahren ein Dauerthema kirchlicher Apologetik. Ich habe jedoch in den apologetischen Schriften zu diesem Themenbereich, der stets auch die Astrologie mit einbezieht, keinen Hinweis auf den Sachartikel »Astrologie« der »Theologischen Realenzyklopädie« oder auf die Veröffentlichung von Gerhard Voss gefunden. Unter den apologetischen Schriften gegen die Astrologie ist Friedrich-Wilhelm Haacks Heft »Astrologie«, in den 70er Jahren erstmals erschienen und seither häufig in jeweils überarbeiteten Auflagen neu herausgebracht, die wohl bekannteste Arbeit. Auch bei seinen Überarbeitungen in den 80er Jahren hat Haack die Schrift von Voss und den Sachartikel »Astrologie« der »Theologischen Realenzyklopädie« nicht berücksichtigt.
Die Haltung im evangelisch-kirchlichen Bereich ist seit Mitte der 80er Jahre etwas nachdenklicher und zuhörensbereiter geworden, zumindest auf der Ebene einer fachlichen theologischen Diskussion. Dazu haben die Schriften von Siegfried Böhringer beigetragen, 1986 und 1990 erschienen, und vielleicht auch meine eigene Arbeit über »Die Kirchen und die Astrologie«. Die »Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« hat in ihrem »Arbeitskreis PSI und christlicher Glaube« seit 1990 mehrfach die Astrologie erörtert. Diese neue Nachdenklichkeit wird freilich vorerst unter verhältnismäßig wenigen Spezialisten kultiviert. Nur wenige Theologen bringen genügend Interesse an Astrologie auf, um nach Jahrhunderten der pauschalen Ablehnung seitens der Kirchen noch behutsam und (selbst-) kritisch nachzufragen. Nur wenige Astrologen vermuten unter Theologen überhaupt zugewandte Gesprächspartner - was eben auch mit der jahrhundertelangen Ablehnung zu tun hat. An der kirchlichen Basis ist die astrologie-bezügliche Nachdenklichkeit einiger Theologen noch keineswegs »angekommen«.
Um die Argumente von kirchlicher Seite gegen die Astrologie einigermaßen präzise wiederzugeben, möchte ich hier aus zwei etwas älteren Kirchenlexika zitieren - 1956 bzw. 1957 erschienen. Diese Argumente sind auch heute nach wie vor zu hören.
»Die geläufigste Form der Astrologie ... ist jene, die aus einer Konstellation von Sternen ein sicheres Urteil über ein künftiges menschliches Geschehen ableiten zu können vorgibt, das der personalen Sphäre des Menschen angehört (... ): sie hat Fatalismus und Determinismus zur Voraussetzung. Solche Astrologie ist oft nichts als gewinnsüchtiges Ausnützen der Unwissenheit und des Aberglaubens und daher gegen Gerechtigkeit (Betrug) und Liebe (Ärgernis, Mitwirken zu fremden Sünden). Ernst genommen, ist sie Wahrsagerei und verstößt gegen die Tugend der Gottesverehrung. Mit deren Verurteilung in Schrift und Tradition ist auch sie getroffen. ... Gründe für die Zurückweisung sind: der Versuch der Aufhebung der bleibenden Überantwortetheit an den unverfügbaren Gott, die zum Wesen der Religion gehört, Hinausstreben über die wirklichen Grenzen menschlicher Erkenntnis, Leugnung der Willensfreiheit, Fatalismus vor der Sünde usw.«
»Astrologie bietet dem säkularen, vom kirchlichen Glauben gelösten Menschen einen Religionsersatz, der unter wissenschaftlichem Schein seinem Bedürfnis nach Vertrauen und Sicherung entgegenkommt. Dabei steht der Mensch in Gefahr, seine Entscheidungsfreiheit mit ängstlicher Bindung an jeweilige Gestirnkonstellationen zu vertauschen. Evangelischer Glaube verwirft Astrologie als Heidentum unter Berufung auf die Heilige Schrift, z. B. Jr. 10,2. Das Zutrauen des Menschen gebührt dem allmächtigen und barmherzigen Gott, und nicht irgendwelchen geschaffenen Wesenheiten.«
Die wissenschaftliche Kritik als theologische
»Astrologie ist im Gegensatz zu Astronomie nicht Wissenschaft, sondern Glaube an den entscheidenden Einfluß der Gestirne auf das Geschick von Welt und Mensch.«
Die hier dargestellte Astrologie der »revidierten Klassik« geht nicht von einem »entscheidenden Einfluß« der Gestirne auf Welt und Mensch aus. Klöckler spricht, wie wir gesehen haben, von Beziehungen zwischen den »Funktionen der Himmelskörper und gewissen Seiten und Teilen der physikalisch-chemischen, biologischen und psychologischen Prozesse auf der Erdoberfläche.« Dies wurde Ende der 20er Jahre geschrieben. Warum behauptet das Evangelische Kirchenlexikon von 1956 von der Astrologie etwas misserständlich Anderes? Seit Klöckler gehört es zum astrologischen Standard, dass das Horoskop eine Form ist, welche aufgrund der Entscheidungsfreiheit des Individuums auf zwar nicht beliebige, aber durchaus unterschiedliche Weise »erfüllt« werden kann. Warum behaupten das Evangelische Kirchenlexikon von 1956 und das katholische »Lexikon für Theologie und Kirche« von 1957 das gerade Gegenteil des Determinismus und Fatalismus?
Was hier unter Astrologie verstanden wird, hat mit der Astrologie der Gegenwart - jedenfalls der seriösen - nichts zu tun. Die zitierten Stellen aus dem evangelischen und dem katholischen Lexikon reflektieren wohl die zeitgenössisch-biblische, also die babylonische Astrologie einigermaßen richtig, ebenso auch noch die traditionelle klassische Astrologie. Aber ausdrücklich wird ja über Astrologie im Tempus der Gegenwart, nicht im Tempus der Vergangenheit gehandelt.
Insbesondere das evangelische Kirchenlexikon stellt auf das Verhältnis von Astrologie und Wissenschaft ab. Die Rede ist von »wissenschaftlichem Schein« und davon, dass Astrologie nicht »Wissenschaft, sondern Glaube« sei. Auch Friedrich-Wilhelm Haack führt die Argumente der Wissenschaft ins Feld - verweist auf eine völlig veränderte Perspektive auf den Kosmos in der Jetztzeit, die mit der astrologischen Perspektive nicht mehr viel zu tun hat, weist hin auf den nicht mehr »stimmigen« Tierkreis usw. Dass der »tropische« Tierkreis der Astrologie technisch nichts mit dem »siderischen« Tierkreis der allerdings gleichnamigen zwölf antiken Hauptsternbilder zu tun hat, wissen wir. Aber Haack nimmt es nicht zur Kenntnis. Offenbar verlassen sich Theologen wenigstens zum Teil auf »Wissenschaft« und deren Brandmarkung der Astrologie, statt selber den Dingen nachzugehen. Die Astrologie gewinnt ihre Deutungsaussagen durch Beobachtung am Menschen - und durch Kombination von Prinzipien aufgrund von, und im Zusammenhang mit Beobachtung, wie wir gesehen haben. Das Erfahrungswissen wird der Astrologie aber rundheraus abgestritten - es gibt keine astrologischen »Erfahrungstatsachen«, konstatiert Haack; die astrologische Wissenschaft ist bloßer Schein, legt das Evangelische Kirchenlexikon fest.
Siegfried Böhringer ist unter den kirchlichen Autoren, die über Astrologie arbeiten, der einzige, der hier auch Anfragen an die Theologie stellt: »Das Zweckbündnis mit der wissenschaftlichen Astrologie-Kritik ist für die kirchlich-christliche Auseinandersetzung bezeichnend: Sie bedient sich der wissenschaftlichen Gegenargumente, übersieht jedoch häufig die Herausforderung, die gerade in diesen auch für den eigenen Glaubensstandpunkt liegt.«
Mit anderen Worten: Will man den christlichen Glauben und die darauf ruhende Theologie auf die Faktizität ihrer Grundaussagen hin überprüfen, dann bleibt an »Erfahrungstatsachen« nichts übrig. Gottessohnschaft Jesu, Jungfrauengeburt, Trinitätslehre - all das ist einem empirischen Zugriff verschlossen. Man könnte die Gottessohnschaft von Jesus, die Jungfrauengeburt, die Dreieinigkeitslehre usw. als große Symbole verstehen, die zugleich christlichen Glauben konstituieren, und darüber dann Verkündigung und Theologie betreiben. Aber wäre das dann nicht sogar ein Argument für die Astrologie? Auch diese geht mit Symbolen um, deutet sie, setzt sie in Lebenszusammenhänge um.
Die Theologie braucht sich vielleicht um solche Fragen nicht zu kümmern. Sie ist traditionell in akademische Forschung und Lehre eingebunden und muß trotz der nicht ganz leisen Rufe nach völliger Trennung von Staat und Kirchen nicht fürchten, demnächst aus den Universitäten verbannt zu werden. Eigentlich aber sollte sie sich ihrer durchaus prekären Position im Gefüge säkularer Wissenschaften bewußt werden. Und sie sollte gerade darum schon nicht nur in einer egoistischen Haltung gegenüber Außenseiterwissenschaften verharren. Aus dem Blickwinkel säkularer Wissenschaften sitzen Theologie, Esoterik, Astrologie usw. doch eigentlich im selben Narrenschiff.
Theologie und Kirchen, insbesondere die evangelischen Kirchen, retten sich mit einer schon fast abergläubisch zu nennenden Wissenschaftsgläubigkeit. Die Entmythologisierung, die der evangelische Theologe Rudolf Bultmann gelehrt hat, geht explizit davon aus, »die Anstöße hinwegzuräumen, die für den modernen Menschen daraus erwachsen, dass er in einem durch die Wissenschaft bestimmten Weltbild lebt.« Die »Anstöße« sind die Mythen und Wunder, wie sie in der Bibel berichtet werden. Statt sich von den biblischen Berichten, und seien sie dem modernen Menschen noch so unwahrscheinlich, wenigstens nachdenklich und zum Weiterfragen bereit machen zu lassen, werden sie im Namen der Wissenschaften und ihres Weltbilds »hinweggeräumt«. Das klingt nach Ordnung schaffen, aber beruht diese Ordnung nicht auf dem Aberglauben, die Wissenschaften wüssten alles? Die Vermutung liegt nahe, dass hier eigene Alleinseligmachungsansprüche, die man wenigstens im evangelischen Bereich heute nicht mehr offen vertritt, auf die Wissenschaften projiziert werden.
Insgesamt zeigt sich, dass Kirchen und Theologie sich auf nicht eben kritische und selbstkritische Weise der wissenschaftlichen Dienste versichern. Zwei Traditionen, eine kirchliche und eine naturwissenschaftliche, verbünden sich auf wenig reflektierte Weise, um einer dritten Tradition den Garaus zu machen. Dabei bedient sich nicht nur die Theologie der Naturwissenschaften, sondern umgekehrt auch die Naturwissenschaft der Theologie. Wiechoczek referiert ausführlich und zustimmend die Theologen, die gleich ihm gegen die Astrologie eingestellt sind.
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