Christoph Schubert-Weller (1950) Studium der Philosophie, Linguistik und Literatur, Zweitstudium in Pädagogik, Psychologie und Soziologie. 1993 Promotion. Ausbildung in Astrologie seit 1976, geprüfter Astrologe (DAV). Lange Jahre geschäftsführendes Mitglied der Prüfungskommission beim Deutschen Astrologenverband (DAV) und von 2005 bis 2011 leitete er den Verband als 1. Vorsitzender. Aufsätze, Monographien Vorträge und Radiosendungen.
Astrologie in der Gegenwart – oder die außergewöhnliche Erfolgsstory eines Randfachs
Die Astrologie ist bis heute ein Randfach. Im Mainstream der akademischen Vernunft geht sie ohne Weiteres unter. Astrologie ist eine unter vielen Varianten der Menschenkunde. Die populären spirituellen und philosophischen Überzeugungen des postreligiösen Menschen unterstellen der Astrologie nach wie vor einen Hang zu Fatalismus und Determinismus. Spiritualität im Äon des Wassermanns hingegen pocht auf die freie Wahl von Glauben und Unglauben.
Und doch hat die Astrologie während des gesamten 20. Jahrhunderts eine erstaunliche Karriere hingelegt, eine Karriere, die Weltkriege und Diktaturen zwar zu verzögern, aber nicht wirklich zu stoppen vermochten. Spätestens seit den 70er-Jahren erlebt die Astrologie nachgerade einen Boom. Dazu einfach einige Zahlen und Beispiele aus dem mitteleuropäischen Raum:
Um die Wende zum 20. Jahrhundert kannte vielleicht einer unter 5000 Erwachsenen sein persönliches Sonnenzeichen. Heute kennt (fast) jeder sein Sonnenzeichen und meist auch seinen Aszendenten!
1955 gab es in der damaligen Bundesrepublik Deutschland genau eine astrologische »Schule«, die eine Ausbildung in Astrologie anbot. Um die Jahrtausendwende waren es schätzungsweise 40 »Schulen«, die meist nebenberufliche Ausbildungsgänge und Einzelseminare boten. Dieses Angebot ist meist auf Studierende zugeschnitten, die später selbst als professionelle Astrologen arbeiten möchten. Die Zunahme astrologischer Ausbildungsangebote spiegelt die Zunahme selbstständiger professioneller Beratungsangebote und zugleich natürlich auch den wachsenden Beratungsbedarf wider. (…)
Das Ausbildungsangebot wird auch von Interessierten wahrgenommen, die sich mit dem Denk- und Deutungssystem der Astrologie, mit ihrer Bildersprache vertraut machen möchten, ohne deswegen als Astrologen arbeiten zu wollen. Wenn Bildung leicht(er) zugänglich wird, treten wie selbstverständlich die Neugierigen auf den Plan und sorgen für einen weiteren und breiteren Anstieg des Bildungsgrades.
Eigens sollte man hervorheben, dass die Astrologen überhaupt beraten gelernt haben: Astrologische Gutachten bzw. Konsultationen haben spätestens seit den 70er-Jahren den Ton der Schicksalsverkündung aufgegeben. Die astrologische Beratung macht Wahlmöglichkeiten sichtbar. Sie bereitet Entscheidungen vor, aber nimmt sie dem Ratsuchenden nicht ab. Zugrunde liegt die »Blickumstellung«, die die psychologische Astrologie seit Mitte der 20er-Jahre vollzogen und in der gesamten astrologischen Gemeinschaft eingefordert hatte: den Blick weg von der ehernen Schicksalszuschreibung durch das Horoskop und hin zu den horoskopisch gegebenen Möglichkeiten von Schicksalsgestaltung. Damit einher ging und geht die Bewusstmachung von Aussagegrenzen des Horoskops.
Schon zwischen den beiden Weltkriegen gab es eine beachtliche Blüte der Astrologie in Deutschland und Europa, auf welcher der Boom seit den 70er-Jahren inhaltlich und organisatorisch aufbaute. In Deutschland litt allerdings die Astrologie vor allem unter der Verfolgung durch das Dritte Reich.
Von C. G. Jung stammt die optimistische Prognose »Die moderne Astrologie nähert sich mehr und mehr der Psychologie und klopft bereits vernehmlich an die Tore der Universitäten.« In der Tat sahen und sehen manche Astrologen eine ihrer dringlichen Aufgaben in einer Etablierung der Astrologie an den Universitäten. Im Zeitalter der Reformation und in der frühen Neuzeit, als Astronomie und Astrologie noch als Einheit galten, war dies kein Problem. Diese Einheit zerbrach im Zug der Aufklärung. Sie ist nie wieder hergestellt worden. Die Astrologie geriet im 17. Jahrhundert in eine Krise, als sich das mathematisch-mechanistische Weltbild Isaac Newtons durchzusetzen begann. Zunehmend wurde die Astrologie von den Universitäten verdrängt. (…)
Was der Astrologie aus akademischer Sicht fehlt, ist eine klare Theorie, die erstens die vielfältigen vorliegenden Belege und Einzelbeweise für die Astrologie zusammenfasst und aus der zweitens die komplexe astrologische Deutungspraxis ableitbar ist. Ja, der Kosmos arbeitet mit »Uhren«, ja, diese Uhren des Kosmos könnten auch »Bedeutung« anzeigen, könnten auch nach dem Mond und der Astrologie gehen. Das sind für einzelne Akademiker durchaus denkbare Hypothesen. Allerdings ist es von diesen Hypothesen bis zur wissenschaftlich stichhaltigen Begründung der Astrologie noch ein weiter Weg.
Und auf diesem Weg liegen auch Spott und Hohn und radikale soziale Ausgrenzung, wenn ein Mitglied der akademischen Community sich überhaupt an das Thema Astrologie heranwagt. Freiheit von Lehre und Forschung? Die Freiheit von Lehre und Forschung ist in der akademischen Welt frühestens dann garantiert, wenn man sich mehrheitlich vorstellen kann, dass an einer Hypothese, an einer Überzeugung, an einer populären Theoriebildung usw. »was dran ist«. Aus verschiedenen (und nicht nur rationalen) Gründen ist die Triftigkeit der Astrologie für den Durchschnittswissenschaftler nicht vorstellbar. Wir werden darauf noch zurückkommen.
Der »Boom der Astrologie« hat die akademische Welt nicht weiter berührt. Der Boom war vor allem ein »Publicity-Boom«. Die Astrologie wurde schrittweise »bekannter« und »professioneller«, sie legte das Odeur der Wahrsagerei in der Wohnzimmerpraxis ab, umgab sich mit den Designermöbeln der Seriosität, schulte sich in klientenzentrierter Zuwendung. Hinzu kam mit zunehmender Privatisierung die Öffnung der Funkmedien für eine populäre Astrologie. Gleichzeitig nahm das Misstrauen in der Gesellschaft gegenüber einer womöglich sektiererisch-dogmatischen Astrologie spürbar ab.
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