Die Spekulationen um das Jahr 2012
Was ist in diesem Zusammenhang von Ankündigungen des „Endes unserer Welt“ und/oder eines außergewöhnlichen „spirituellen Aufstiegs“ der Menschheit im Jahre 2012, exakt am 21. Dezember 2012 zu halten ? Beides wird damit begründet, dass an diesem Tag der vor Jahrhunderten von den Mayapriestern aus Mittelamerika aufgestellte Kalender ende.
Symbolisch gesehen entsprechen beide Bilder durchaus der Zeitqualität, wie sie sich aus den kosmischen Rhythmen ergibt. Daraus erklärt sich auch die große aktuelle Faszination dieser im wahrsten Sinne des Wortes mythischen Motive.
Doch haben wir eingangs schon hervorgehoben, dass mythische Themen sich in dieser vierdimensionalen Raumzeit, auf dieser physischen Ebene immer eher gebrochen verwirklichen - ein grundlegendes Gesetz der Wirklichkeit. Das heißt: Die Extreme sind eben auch - extrem unwahrscheinlich ...
Das gilt meines Erachtens sowohl für die z.B. im Film von Roland Emmerich heraufbeschworenen Ängste vor riesigen Naturkatastrophen als auch für Erwartungen plötzlicher allgemeiner spiritueller „Durchbrüche“ ohne entsprechende schrittweise Vorarbeit ... „Lassen wir also die Kirche im Dorf“, wie man sagt ...
Die Herausforderungen unserer Zeit sind wahrlich groß genug, auch wenn welthistorisch einmalige Prozesse sich eher sukzessive, nach und nach und innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen, politischen und psychologischen Wirklichkeit abspielen. „Natura non facit saltus“, sagt der Lateiner: Die Natur macht keine (extremen) Sprünge, sondern entwickelt sich Schritt für Schritt. Was sich im Laufe von nur wenigen Jahrzehnten schon getan hat und sicherlich noch weiter tun wird, ist sensationell genug.
Überzogene apokalyptische Ängste stören bei einer Bewältigung unserer Situation ebenso wie allzu rosafarbene Träume von einer plötzlichen „Erleuchtung light“ ...
Und die Mayapriester? Nun, diese hatten in der Tat erstaunliches mathematisches und Kalenderwissen. Doch kann eine von Menschen ersonnene Rechenoperation oder das „Ende“ eines Systems für sich genommen sicherlich nichts Spektakuläres bewirken - genauso wenig wie die Umstellung eines Tachometers allein ein Auto fahren lässt. Es gibt über 70 verschiedene Kalendersysteme - und alle zählen anders!
Dass die Maya einen Zyklus von etwa 26.000 Jahren zugrundelegten, zeigt allerdings, dass sie astronomische Beobachtungen vielleicht weit genug vervollkommnet hatten, um den oben beschriebenen Präzessionsrhythmus der Ekliptik-Eckpunkte zu erkennen. Und wenn sie für unsere Zeit einen einschneidenden Wendeprozess erwarteten, haben sie möglicherweise auch schon das beschriebene Zusammenspiel von Präzession und galaktischem Äquator durchschaut. Eindeutige Belege dafür gibt es in ihren Texten jedoch nicht, abgesehen von der Zahl von ca. 26.000 Jahren.
Zudem ist auch unter Fachleuten die Zuordnung des Endes der Maya-Kalenderrechnung zum Datum 21.12.2012 durchaus umstritten. Denn es ist keineswegs einfach, solche Bezüge zwischen zwei komplexen Systemen eindeutig zu belegen. (So geben der seit Jahrzehnten in Mexiko lebende Mayaforscher Jens Rohark und der Mathematiker und Physiker Mario Krygier nicht weniger als 50 in der Literatur vertretene wissenschaftliche Meinungen dazu an. Sie kommen jedoch bei ihrer eigenen Umrechnung des Enddatums des Maya-Kalenders auf den 23. 12. 2012 - also keine starke Abweichung.)
Vor allem aber muss für die Beurteilung einer solchen Frage immer letztlich der Kosmos selbst maßgeblich sein, also astronomische Fakten, nicht allein historische Autoritäten. Nur was anhand klarer kosmischer Vorgaben eindeutig nachvollziehbar ist, kann Grundlage gültiger Aussagen über die Zeitqualität sein.
So ist es in der Tat eindrucksvoll, dass die Maya eventuell um die oben dargestellten Zyklen wussten. Doch nähere Betrachtung zeigt: Es geht bei dem hier zu behandelnden Prozess um eine Jahrhunderte umfassende Rhythmik! Und auch die Wendezeit im engeren Sinne umfasst zumindest einige Jahrzehnte.
Daher erscheint der „Hype“ um das angeblich so ausnahmeträchtige Datum 2012 objektiv unbegründet.
Betrachten wir dazu die Tatsachen über die Ekliptik, ihre Eckpunkte und ihr Wandern im Zuge der durch das „Eiern“ der Erdachse bewirkten Präzession nochmals genauer:
Ein vollständiger Umlauf umfasst ca. 26.000 Jahre. Ganz exakt kann diese Zahl schon deshalb nicht benannt werden, weil der Präzessionsrhythmus wie alles im Kosmos nicht absolut stetig verläuft (genau: die Unbestimmtheit, das Chaos ...). Deshalb muss über eine so große Zeitspanne zusammengenommen durchaus mit erheblichen Schwankungen gerechnet werden. Schon deshalb ist eine auf einen Tag genaue Festlegung über Jahrtausende hinweg überhaupt nicht möglich.
Ferner: Die derzeitige Geschwindigkeit der Präzession beträgt ca. 72 Jahre für einen einzigen der dreihundertsechzig Grade des Tierkreises. Ein Grad ist der geringste in der Astrologie gebräuchliche „Orbis“. Mit diesem Wort - wörtlich „Umkreis“, in etwa: zulässige Distanz - wird astrologisch der Abstand bezeichnet, innerhalb dessen von starkem Auftreten einer fraglichen Zeitqualität gesprochen wird. Bei sehr langsamen Rhythmen wie zum Beispiel den äußeren Planeten des Sonnensystems haben sich auch größere Orbes bis zu mehreren Graden als gültig erwiesen.
Selbst bei Zugrundelegen des engsten Orbis umfasst der Zeitraum des Durchganges des Winterpunktes über den Äquator der Galaxis also mindestens 72, eigentlich sogar 144 Jahre! Denn ein Grad Abweichung oder „Orbis“ gilt von jeder Seite her - also genauer betrachtet: zweimal. Innerhalb dieser Spanne ein einziges Jahr als außergewöhnlich herausgehoben zu bezeichnen, hat keine objektive Grundlage, wie viel weniger dann einen einzigen Tag !
Zudem ist die genaue Lage des galaktischen Äquators wissenschaftlich nicht mit letzter Exaktheit bestimmbar, weil die „Dicke“ der galaktischen Scheibe immerhin etliche Lichtjahre beträgt und die Mitte der Milchstraße am Himmel mehr eine Zone als ein exakter Punkt ist. Auch eine unvorstellbar große Struktur wie die Galaxis trägt also die Heisenberg’sche „Unbestimmtheit“ und damit das Chaos, die Freiheit in sich ...
Selbst in manchen der beliebten Bücher über das „Mysterium von 2012“, die mit astronomischen Halbwahrheiten und kryptischen Hinweisen auf die Maya einen Nimbus von Furcht und Faszination beschwören, wird von einem Jahrzehnte umfassenden Prozess gesprochen. So nennt Gregg Braden in seinem Buch „Fractal Time - Das Geheimnis von 2012 ...“ unter Berufung auf John Major Jenkins’ „Maya Cosmogenesis 2012“ eine Zeitspanne zwischen 1980 und 2016 und betont ausdrücklich,
„dass es sich mehr um einen Prozess als um ein Ereignis handelt ... Es handelt sich nicht um ein Ereignis, das an einem Tag stattfindet.“ (S.16)
Halten wir also fest: Der Übergang des Punktes der Wintersonnenwende über den Äquator der Galaxis umfasst mindestens einige Jahrzehnte. Deshalb ist die Betonung einer angeblichen Besonderheit des Jahres 2012 oder gar des 21. 12. 2012 astronomisch-astrologisch nicht zu begründen!
So verständlich und bis zu einem gewissen Grade auch psychologisch sinnvoll es sein mag, ein bestimmtes Datum als eher symbolischen Fixpunkt der Konzentration zu nehmen: Zu große Aufgeregtheit und unsachliche Vereinfachungen helfen uns ebenso wenig, die wahren Zeichen der Zeit zu erfassen und unsere Verantwortung wahrzunehmen, wie apokalyptische Panik oder illusorischer Aberglaube.
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